Wissens– und Datenwelten rund um Wikipedia & Co beim 57. BibChatDe

Am 7. März 2022 fand der 57. Bibchat mit dem Titel „Wie viel Wikiversum steckt schon in unseren Bibliotheken?“ statt. Die Moderation übernahmen: Marlene Neumann (BibChatDE, WomenEdit Erlangen), Jens Bemme (SLUB Dresden/Saxorum). Ein Rückblick.

Wikimedia Brand Guidelines Update 2022 - MediaWiki

Wikipedia 20 symbol by Jasmina El Bouamraoui and Karabo Poppy Moletsane, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Hand auf’s Herz! Sind unsere Bibliotheken – in Deutschland, Österreich und in der Schweiz – schon fit, um die Möglichkeiten des Wikiversums wirkungsvoll zu nutzen, Bibliotheksnutzer:innen fundiert zu beraten und sich dort an der Entwicklung neuer Methoden und Wissensbestände zu beteiligen?

1Lib1Ref, die traditionsreiche Kampagne für Bibliothekar:innen und für zusätzliche Referenzen in Wikipedia, ist recht bekannt – eine etabliertes Format, um dort den Einstieg zu lernen. Aber die Welt dreht sich weiter – samt Wikimedia. Neue Funktionen, Daten und Communities wachsen. Wächst auch das Wissen in Bibliotheken? Ist die Wikipedia für sich genommen wirklich schon im Alltag angekommen: Lesen, Editieren, Verknüpfen, Beraten? Sind bzw. wären das überhaupt Fachkompetenzen, die zu den Grundlagen gehören – wie die Benutzung und Datenpflege unserer Bibliothekskataloge?

Beim 57. Bibchat diskutierten wir über solche Themen, Beispielprojekte, Erfolge, Misserfolge und Ideen. Schon in die Ankündigung Wie viel Wikiversum steckt schon in unseren Bibliotheken? steckten wir einige Anregungen. Der Chat war diesmal auch international – mit Gäste aus dem ganzen deutschsprachigen Raum, aus den Niederlanden und den USA.

Einige Schlaglichter

Ziko van Dijk schrieb: “Ohne die guten Bibliotheken in Deutschland, Österreich und der Schweiz gäbe es auch keine so gute deutschsprachige #Wikipedia. Das erzähle ich jedem Lokalpolitiker, der haushaltsmäßig auf dumme Gedanken kommen könnte.”

Laurie Bridges aus Oregon: “There are so many interesting international projects, that are not shared beyond the country’s borders/language. Which is why we put together the book, Wikipedia and Academic Libraries: A Global Project.”

Nicole Graf: “aktuell haben wir ein sehr grosses Projekt aufgegleist, alle Porträts von ETH-Profs in WP-Artikel plus fehlende Artikel schreiben.”

D@niel Mietchen fragte zurück: ”Welche Rolle spielt Wikidata dabei? Es wird eher beilaeufig erwaehnt, kann aber so einiges beitragen – siehe z.B. https://wikidata.org/wiki/Wikidata:Wiki-wetenschappers oder https://scholia.toolforge.org/author/Q22915113

Nicole Graf antwortete: “Sehr wichtig! Für jeden Prof, von dem wir das OK für sein Porträt bekommen, auch wenn kein WP-Artikel vorhanden ist, legen wir einen Wikidata-Datensatz an.”

Wie profitiert die Wikimedia-Community von Bibliotheken und umgekehrt? 

Nicole Graf: “Wir liefern wichtige Quellen wie Bilder wodurch Wikipedia-Artikel und @wikidata attraktiver werden.”

Claudia Frick: “Daten und Information strukturieren, frei verfügbar und austauschbar machen, sammeln, versionieren, kategorisieren, … Mir fällt gar nicht ein an welchen Punkten man nicht voneinander profitieren oder miteinander arbeiten könnte.”

Gereon Kalkuhl: “Für diejenigen, die sich nicht so recht trauen, die Wikipedia zu bearbeiten: Auch in Bibliotheken werden Wikipedia-Schulungen angeboten. Regelmäßig z.B. in Bremen, Hamburg und Stuttgart – unregelmäßig auch in Düsseldorf und Duisburg.”

SarahDThoma: In Erlangen hat sich vor über 2 Jahren eine WomenEdit-Gruppe in der Stadtbibliothek gegründet. WomenEdit möchte den Frauenanteil in der WP erhöhen, sowohl bei den Autor*innen als auch bei den Artikeln.

Im SLUBlog erschien bereits ein BIBChat-Bericht mit den Schwerpunkten Wissenschaftskommunikation und Open Science. Außerdem wird am Freitag, den 25. März eine Digitale Mittagspause mit der Citizen Science-Plattform Bürger schaffen Wissen stattfinden: 12 bis 13 Uhr. Thema: Open Citizen Science mit Portalen und Werkzeugen des Wikiversums. Zudem gibt es den diesjährigen Bibliothekskongress auch in der Wikiversity. Diese Seite kann ergänzt werden.

Und noch ein Aufruf zum Schluss:

Meiken Hagemeister: “Die @riffreporter möchten gern zusammen mit Wikipedianer*innen und Bibliotheken Workshops anbieten.” Bei Interesse bitte einfach kurze E-Mail an info@riffreporter.de.

WP20Symbols activism

Activism symbol for Wikipedia 20 Illustrated by Jasmina El Bouamraoui and Karabo Poppy Moletsane, CC0, via Wikimedia Commons

Ankündigung 57. BibChatDE: Wie viel Wikiversum steckt schon in unseren Bibliotheken?

Oder: Wie viel Wikipedia, Wikisource, Wikidata, …, Wikimedia Commons sollten in Bibliotheken stecken? Was fehlt? 

Termin: Montag, den 7. März 2022 von 20-21 Uhr

Wikipedia ist das größte Nachschlagewerk der Welt, bei dem alle mitmachen können. Doch das Wikiversum besteht nicht nur aus der Wikipedia. Viele der weniger bekannten Schwesterprojekte wie Wikisource oder Wikidata sind ebenfalls relevant für Bibliotheken. Wie können sich Bibliothekar*innen und Informationswissenschaftler*innen an der Wissenserstellung beteiligen, indem sie Menschen im Umgang mit Wikipedia und Co. unterstützen? Darüber wollen wir uns am 7. März 2022 in einem Spezialchat austauschen. Wir laden ausdrücklich auch Wikipedianer*innen dazu ein!

Wer am Abend keine Zeit haben sollte, kann die Antworten auf die Fragen auch vorplanen. Deshalb stehen die Uhrzeiten dabei. Bitte immer den Hashtag #BibChatDE benutzen.

Die Fragen:

  1. Welche Rolle spielt die Wikipedia in deinem beruflichen und persönlichen Alltag? (8:05 Uhr)
  2. Ist deine Bibliothek im Wikiversum zu finden? Wenn ja, wo (Wikipedia, Commons, Wikisource, Wikidata, Wikiversität)? (8:15 Uhr)
  3. Hast du schon mal Wikipedia-Artikel ergänzt? Welche Erfahrungen hast du dabei gemacht? Falls nein, hättest du Interesse und welche Unterstützung dafür wünschst du dir? (8:25 Uhr)
  4. Wie profitiert die Wikimedia-Community von Bibliotheken und umgekehrt? Welche gemeinsamen Themen und Projekte gibt es? (8:35 Uhr)
  5. Welche Rolle spielt die Wikipedia in Klassenführungen und Informationskompetenz-Schulungen? (8:45 Uhr)
  6. Fragt! Was willst du über die Wikipedia und ihre Schwesterprojekte wissen? (8:55 Uhr)

Moderation:

Marlene Neumann (BibChatDE, WomenEdit Erlangen), Jens Bemme (SLUB Dresden/Saxorum)

Im Folgenden beschreiben die Moderator*innen, welche Potentiale sie in der Vernetzung von Bibliotheks- und Wiki-Community sehen.

Marlene:

Für Bibliotheken als Bereitstellerinnen von Wissen und Informationen geht kein Weg an der Wikipedia vorbei. Denn nirgendwo sonst ist freies Wissen so leicht zugänglich. Wo suchen Schüler*innen Input für ihre Referate? Wo finden Menschen grundlegende Informationen über Themen, die sie gerade interessieren? Die Wikipedia ist die Anlaufstelle für Wissen im Netz! Allein deshalb, finde ich es wichtig, dass Bibliothekar*innen die Grundprinzipien und Strukturen der Wikipedia kennen. Nur so können sie Schüler*innen, Lehrer*innen, Studierende und andere Menschen beim verantwortungsvollen Umgang mit der Wikipedia unterstützen. Wie tragen Informationsexpert*innen darüber hinaus zum Wikiversum bei? Welche Kooperationen sind möglich? Einige Gedankenanstöße und konkrete Projekte:

Treffpunkt Bibliothek

Alle Informationen in der Wikipedia müssen belegt sein. Wikipedianer*innen finden in Bibliotheken Zugang zu Literatur und Datenbanken, also zu den notwendigen Quellen. Bibliothekar*innen unterstützen bei der Recherche. Außerdem eignen sich Bibliotheken als Raum für die Wikipedia-Community – vom Einführungsworkshop bis zum Edit-a-thon ist vieles möglich. In Erlangen trifft sich monatlich eine Gruppe Wikipedianerinnen zum Womenedit.

#1Lib1Ref

Bibliothekar*innen ergänzen Literaturangaben und Belege in der Wikipedia – alljährlich u.a. im Rahmen der internationalen Kampagne #1Lib1Ref.

GLAM-Projekte

GLAM ist die englische Abkürzung für all jene Institutionen, die unser kulturelles Erbe erhalten und vermitteln: Galerien, Bibliotheken, Archive und Museen. Das Internet ermöglicht, Wissen, Kunst und Kultur für ein überregionales und globales Publikum zu öffnen und Sammlungen über Institutionensgrenzen hinweg zu verknüpfen und auffindbar zu machen. So können sich Bibliotheken in der sogenannten KulTour mit Wikipedia-Aktiven vernetzen und ihre Ressourcen für die Erstellung von Bildmaterial und Artikeln aktiv zur Verfügung stellen (z.B. Zentralbibliothek Zürich oder Monacensia).

Coding Da Vinci

Bibliotheken stellen bei einem Coding da Vinci-Hackathon offen lizenzierte Daten aus ihren Sammlungen (z.B. Scans und Metadaten von Handschriften) bereit, mit aus denen Coder*innen-Projektteams neue Anwendungen entwickeln: Hacker-, Programmierer-, Designer- und Bibliotheksmitarbeiter*innen.

WikiLibrary-Manifest

Die Verbindung von Bibliotheken und Wikiversum spiegelt sich auch im WikiLibrary-Manifest wider. Die Deutsche Nationalbibliothek hat es am 17.11.2020 gemeinsam mit der Wikimedia Deutschland e.V. veröffentlicht. Das WikiLibrary-Manifest verbindet Bibliotheken und Wikimedia-Projekte wie Wikibase in einem internationalen Wissensnetzwerk. Das Ziel: die Entstehung und Nutzung eines Linked Open Data Netzwerkes für Kunst, Kultur und Wissenschaft.

Jens:

Seit meinem ersten Edit für den deutschen Wikipedia-Artikel Fliegendes Spagettimonster sind 17 Jahre vergangen, eine Diplomarbeit, Jobwechsel, Umzüge und manche andere Veröffentlichung: Unser Wissen verändert sich. Dass ich jemals in einer wissenschaftlichen Bibliothek und im Bereich Landeskunde (Saxonica) arbeiten würde, war damals nicht abzusehen. Studiert habe ich mal Verkehrswirtschaft und Lateinamerikastudien. Heute ist Wikipedia bei meiner Arbeit, in Forschung und Hobbies längst in den Hintergrund getreten. Erst rückte Wikisource in den Vordergrund, um digitalisierte Quellen der Radfahrgeschichte zugänglich zu machen. Dann wurde Wikidata immer relevanter, weil dort schon kleine digitale Referenzen genügen, um historische Details sichtbar und recherchierbar zu machen: z.B. baltische Radfahrervereine um 1900 oder Fliegende Frauen und Männer auf Reisen aus Meißen. Wikipedia ist in all den Jahren für mich nicht unwichtig geworden, aber eben nur ein Werkzeug unter anderen.

Diese Vorgeschichten, die Gartenlaubeserie ‘Deutschlands merkwürdige Bäume’, ein Kneipenabend mit Solvejg Nitzke und Twitterkontakt samt Kollaboration mit dem Wiener Systembibliothekar Christian Erlinger ließ uns 2019 ‘Die Datenlaube‘ starten. In dem Citizen Science-Projekt erschließen wir alle Gartenlaube-Texte in Wikisource artikelweise mit Wikidata und bauen so eine Art Katalog offener bibliografischer Daten der Gartenlaube von 1853 bis vorerst 1899.

Das Wikiversum, die globale Familie aus sehr verschiedenen Wikimediaportalen, funktioniert für uns wie eine Bibliothek – wie eine Werkstatt samt Wohn- und Arbeitszimmer, deren besondere Stärke in der Vernetzung der jeweiligen Medien, Daten und digitalen Funktionen liegt – und in den Gemeinschaften: Menschen, die sich um dieses Freie Wissen bzw. kleine Teile davon, die zugrundeliegende Technik und die digitalen Werkzeuge kümmern.

1lib1ref ist wichtig für ‘Menschen in Bibliotheken’, um zu lernen Wikipedia zu verbessern. Fragen gibt es überall: Ich werbe inzwischen vor allem für ’1lib1nearby’, ein neuer Ansatz um in Wikidata mit einer Abfrage und wenig Recherche das ‘multilinguale Weltwissen der nahen Umgebung’ zu pflegen; auch denkbar als Heimatforschung mit Wikidata im regionalen Umfeld.

Wiki~ ist nicht nur Wikipedia! Das Wikiversum bietet uns in Bibliotheken sehr viele Möglichkeiten auch auf den zweiten Blick. Futter für die öffentliche Kommunikation, wenn aus den Metadaten von Medien der Wiki Commons oder aus Wikidata-Items Vorschaubilder in Tweets erzeugt werden z.B.; OER: Open Educational Resources, die mit Quellen aus Wikisource erstellt wurden; Bibliografien mit Scholia zur Visualisierung von Metadaten für die Wissenschaftskommunikation … Außerdem ermöglicht das Wikiversum Zusammenarbeit, freien Zugang zu Wissen und zu technischen Ressourcen und Gelegenheiten die eigene Bibliothek und Medien durch offene Daten sichtbar zu machen – und zu vernetzen.

2021 chatteten wir im BIBChat über Citizen Science. Das Wikiversum ist da sehr nah dran. Meine Vision ist deshalb die ‘Wikiversitätsstadt’: Orte, Rathäuser, Bürgermeister*innen oder Rektor*innen, die erklären diesen Namenszusatz am Ortsschild führen zu wollen – oder eine unserer Bibliotheken am Haupteingang. Dann wohnen und arbeiten wir vielleicht schon in ‘Citizen Science City’. Schwerpunkt ist 2022 für mich die Wikiversity. Dort kann man Themen für übernächste BIBchats vorschlagen, vorab Material und eigene Antworten sammeln oder in anderen Zusammenhängen gemeinsam Bildungsmaterial bauen.

Unsere Frage ist dennoch: Was fehlt?

Literatur